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Die Entrüstung ist riesig: BGH interpretiert § 101 UrhG um

Die Entrüstung ist riesig: BGH interpretiert § 101 UrhG um

Das Anliegen eines Musikvertriebsunternehmens, das in den Vorinstanzen LG Köln und OLG Köln im Herbst 2011 noch kläglich scheiterte, verbuchte dieses Frühjahr wider Erwarten einen Erfolg vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Das besagte Unternehmen vertritt die Naidoo Records GmbH und beauftragte wiederum ein anderes Unternehmen IP-Adressen von Personen zu ermitteln, die den Titel „Bitte hör nicht auf zu träumen“ von Xavier Naidoo im September 2011 über eine Online-Tauschbörse unberechtigt anderen Personen zum Herunterladen angeboten hatten.

Ein Auskunftsanspruch gegen den Internet-Provider

Nun hatte die Antragstellerin gemäß § 101 Abs. 9 UrhG i.V.m. § 101 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 UrhG (Urheberrechtsgesetz) gerichtlich beantragt, der Deutschen Telekom AG zu gestatten, ihr über den Namen und die Anschrift derjenigen Nutzer Auskunft zu erteilen, denen die ermittelten IP-Adressen zugewiesen waren.

Das Überraschende an dem Fall ist, dass der BGH die ablehnenden Beschlüsse der vorhergehenden Instanzen aufgehoben bzw. abgeändert hat und vor allem mit welcher interessanten Begründung er dies getan hat.

§ 101 Abs. 1 und Abs. 2 UrhG legen die allgemeinen Voraussetzungen fest, bei deren Vorliegen ein Auskunftsanspruch wegen einer Urheberrechtsverletzung besteht. § 101 Abs. 9 UrhG stellt zusätzliche Voraussetzungen auf, wenn die Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten i.S.d. des § 3 Nr. 30 TKG (Telekommunikationsgesetz) – wie z.B. IP-Adressen – erteilt werden kann.

Für den vorliegenden Fall lauten die relevanten Textpassagen des § 101 UrhG folgendermaßen (Anm.: Hervorhebungen d. Red.):

(1) Wer in gewerblichem Ausmaß das Urheberrecht (…) widerrechtlich verletzt, kann von dem Verletzten auf unverzügliche Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der rechtsverletzenden Vervielfältigungsstücke (…) in Anspruch genommen werden. Das gewerbliche Ausmaß kann sich sowohl aus der Anzahl der Rechtsverletzungen als auch aus der Schwere der Rechtsverletzung ergeben.

(2) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung (…) besteht der Anspruch unbeschadet von Absatz 1 auch gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß (…) für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte (…).

Der Coup des BGH

Wenn man sich diese kurzen Textpassagen einmal in Ruhe durchgelesen hat, wird man von der im BGH-Beschluss zelebrierten Neuinterpretation des Wortlauts etwas überrascht sein. Der BGH äußert sich zu den anzuwendenden Vorschriften wie folgt (Anm: Hervorhebungen d. Red.):

„Der in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung bestehende Anspruch aus § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG auf Auskunft gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte, setzt nicht voraus, dass die rechtsverletzenden Tätigkeiten das Urheberrecht oder ein anderes nach dem Urheberrechtsgesetz geschütztes Recht in gewerblichem Ausmaß verletzt haben.“

Was soll denn nun „gewerblich“ sein?

Da im betreffenden Fall der Knackpunkt wie gewöhnlich darin lag, ob nun das Merkmal „gewerblich“ erfüllt wurde oder nicht, musste auch der BGH umfangreich darauf eingehen. Seine Argumentation ging jedoch in eine etwas andere Richtung.

Laut BGH bezieht sich der Begriff „in gewerblichem Ausmaß“ in § 101 Abs. 2 Satz 1 UrhG nicht auf das am Anfang dieses Satzes stehende Wort „Rechtsverletzung“, sondern auf den verwendeten Begriff des Erbringens von Dienstleistungen. – Wer dieser Auffassung noch folgen kann, kann getrost weiterlesen. Den meisten Kritikern geht an dieser Stelle aber bereits der Hut hoch…

Weiter führt der BGH aus, dass der Begriff der Rechtsverletzung im Sinne des § 101 UrhG dagegen nicht allein Rechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß umfasse. Das ergebe sich bereits daraus, dass sich das gewerbliche Ausmaß nach § 101 Abs. 2 Satz 2 UrhG sowohl aus der Anzahl der Rechtsverletzungen als auch aus der Schwere der Rechtsverletzung ergeben kann und demnach nicht jede Rechtsverletzung zugleich eine solche in gewerblichem Ausmaß ist.

Und was ist mit der Verhältnismäßigkeit?

Selbst wenn man sich dieser Auffassung anschlösse und sich vom Erfordernis der Gewerblichkeit lösen würde, käme man zwangsläufig zu der Frage, ob die konkrete Auskunft dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Die langjährige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Thematik wird vom BGH auch erkannt:

„Die Aufhebung der Anonymität im Internet bedarf zumindest einer Rechtsgutsbeeinträchtigung, der von der Rechtsordnung auch sonst ein hervorgehobenes Gewicht beigemessen wird (BVerfGE 125, 260 Rn. 262 – Vorratsdatenspeicherung).“

Dennoch kommt er sogleich zu dem Schluss, dass es nach diesen Maßstäben verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei,

„dass die Bestimmung des § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG in Verbindung mit der Regelung des § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG die Verwendung von Verkehrsdaten zur Auskunftserteilung in den Fällen gestattet, in denen – wie hier – ein Auskunftsanspruch wegen einer offensichtlichen Rechtsverletzung gegen eine Person besteht, die in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat.

Na, dann… alle Klarheiten beseitigt? Es wird noch interessant werden, zu sehen, was aus dieser neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung wird, die sich nach herrschender Auffassung der bisherigen Rechtsprechung und Literatur gegen den Wortlaut des Gesetzes wendet.

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  • Also ich sage dazu nochmal: dieses Urteil vom BGH ist und bleibt illegal!! Denn zu meiner Begründung führe ich zuerst mal denn § 90 BGB an: Daten sind keine Sachen.

    Das bedeutet: Daten können gar nicht gestohlen werden, da man nur Sachen stehlen kann. Und eine Sache muss ein körperlicher Gegenstand sein, laut diesem Paragraphen. Und Daten fehlt diese Körperlichkeit!

    Zweitens möchte ich an das Urteil des EuGh erinnern, der festgelegt hat, das sogenannte Präventiv-Filter illegal sind!! Aktenzeichen: (C-275/06). Auch die Presse hat darüber berichtet:
    —————————-Zitat aus Artikel:——————————
    In einem mit Spannung erwarteten Urteil zur Privatsphäre im Internet hat der Europäische Gerichtshof am Dienstag entschieden, dass EU-Mitgliedsländer ihre Gesetze so gestalten dürfen, dass Provider bei Zivilklagen die persönlichen Daten von Filesharern nicht herauszugeben brauchen. Der Schutz persönlicher Daten stehe grundsätzlich über den Interessen der Medienkonzerne und Rechteinhaber, entschied der EU-Gerichtshof im Fall „Promusicae gegen Telefónica“
    ———————————Zitatende———————————–
    Link: http://derstandard.at/3202446

    Darüber hinaus verstößt dieses Urteil des BGH ebenfalls gegen eine deutsche höchstrichterliche Grundsatzentscheidung zum Computerschutz in Deutschland. Dieses Urteil ist hier:

    http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/bverfg/07/1-bvr-370-07.php

    nachzulesen.

    Daher sehe ich es so, dass dieses Urteil des BGH aus diesen drei Gründen unzulässig und nichtig ist!! Und damit muss dieses Verfahren dem EuGh zuer erneuten Entscheidung mit Verweis auf dieses EuGh-Urteil vorgelegt werden!! Dieses Urteil des BGH ist jedenfalls illegal und muss höchstrichterlich überprüft werden.

  • Hier noch ein Auszug aus dem Urteil bezüglich der Illegalität von Prüventiv-Filtern:
    —————————-Zitat aus Artikel:——————————
    Das Gericht erteilte der Forderung nach einer vorbeugenden Überwachung der Nutzer sozialer Netzwerke endgültig eine Absage. Im Ausgangsfall hatte der belgische Musikrechte-Verwerter SABAM vom Netzwerk Netlog elektronische Filter gefordert, um zu verhindern, dass dessen Nutzer illegal Musik und Filme austauschen (Az: C 360/10).

    Der EuGH erteilte dem Wunsch nun eine Abfuhr: Solche Filter führten zu einer präventiven Überwachung und Identifizierung der Netzwerk-Nutzer. Damit würden deren Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Informationszugang verletzt. Diese Rechte seien ausdrücklich durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützt.
    ———————————Zitatende———————————–

    Link: http://tinyurl.com/9auzrya
    (Quelle: N-TV „Abfuhr für Musikrechte-Verwerter – Präventiv-Filter sind illegal“)

    Und damit verstößt dieses BGH-Urteil sogar gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Und auch damit ist dieses Urteil des BGH gegen uns Filesharer null und nichtig und muss entweder korrigiert oder ganz aufgehoben werden!!

  • Welche Relevanz hat es denn bitte das Daten keine Sachen iSd § 90 BGB sind? Und mit proaktiven Prüfungspflichten hat das auch ÜBERHAUPT NICHTS zu tun!

    Wenn man keine Ahnung hat….. einfach mal den….halten.

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