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Automatische Kennzeichenerfassung & Gesichtserkennung sind Bullshit

Automatische Kennzeichenerfassung & Gesichtserkennung sind Bullshit

Bereits mehrere Millionen Kennzeichen deutscher Autofahrer wurden durch die Polizei erfasst, obwohl die dafür verwendete „automatische Kennzeichenerfassung“ hohe Fehlerquoten erzielt. Bei anderen Maßnahmen zur anlasslosen Massenüberwachung, wie etwa der automatischen Gesichtserkennung am Südkreuz, sieht es ebenfalls nicht besser aus.

Kennzeichenerfassung als Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung

Die automatisierte Kennzeichenerfassung wurde bereits in einem Großteil der Bundesländer ausgerollt, mit dem Ziel der Bekämpfung der organisierten und schweren Kriminalität.

Nun zeigt eine aktuelle Recherche, dass diese extrem hohe Fehlerquoten von weit über 90 Prozent liefert. So können manche Systeme keine Leerzeichen verarbeiten, verwechseln Buchstaben und Zahlen oder es behindert sie schlechtes Wetter und die Dämmerung.

Trotz alldem befindet sich die Technologie in einigen Bundesländern schon mehr als zehn Jahre im Einsatz. Gleichzeitig zeigt die Recherche, dass die tatsächlichen „Echttreffer“ nur eher harmlose Delikte wie eine fehlende Versicherung aufdecken. Zur Aufklärung von Verbrechen trägt die Überwachungsmethode jedenfalls nicht im angepriesenen Maße bei.

Grundrechtseingriff durch die anlasslose Massenüberwachung

Grundsätzlich handelt es sich bei der Kennzeichenerfassung unstrittig um einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, da das Kennzeichen zusammen mit weiteren Informationen und damit personenbezogene Daten erfasst wird.

2008 hat das Bundesverfassungsgericht zu diesem Eingriff festgestellt, dass er hinzunehmen ist. Voraussetzung: Die erhobenen Daten werden sofort wieder gelöscht, wenn es sich nicht um einen Treffer handelt.

Kenntnis des Betroffenen von der Kennzeichenerfassung

Im Gegensatz zu anderen Überwachungsmaßnahmen wie stationären Blitzern oder Videokameras gibt es keinen Blitz, oder eine Beschilderung die auf die Maßnahme hinweist. Der Betroffene hat also wenig Möglichkeit die Maßnahme festzustellen und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen.

Rechtlich gesehen ist die Kennzeichenerfassung aber ein Verwaltungsakt – und gegen solche haben Bürger grundsätzlich die Möglichkeit, gerichtlich vorzugehen, um deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Weiß man von der Erfassung allerdings gar nichts, besteht auch keine effektive Möglichkeit, sie prüfen zu lassen.

Gesichtserkennung am Berliner Südkreuz

Auch andere Maßnahmen der anlasslosen Massenüberwachung, wie etwa die testweise durchgeführte Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz, sind nicht weniger fehleranfällig. Die zuständigen Behörden stellen das System jedoch als vollen Erfolg dar.

In der Pressemitteilung der Bundespolizei wird von einer 80% Trefferrate und unter 0,1% Falschtrefferrate gesprochen. Dieser Wert ließe „sich aber durch Kombination verschiedener Systeme technisch auf bis zu 0,00018% und damit auf ein verschwindend geringes Maß reduzieren“. Fazit der Bundespolizei:

„Die Systeme haben sich damit für einen Einsatz im Polizeialltag bewährt.“

Das Bundesministerium des Inneren twittert Ende vergangener Woche dazu gar:

„Testergebnisse zur #Gesichtserkennung am Bahnhof #Südkreuz veröffentlicht. #Seehofer: Systeme haben sich in beeindruckender Weise bewährt, so dass breite Einführung möglich ist. Können damit die Sicherheit für Bürgerinnen & Bürger verbessern.“

System zur Gesichtserkennung ähnlich fehleranfällig

Der Chaos Computer Club (CCC) ist dagegen anderer Ansicht. Die hohe Erkennungsrate von durchschnittlich 80 Prozent ergebe sich nach Ansicht des Clubs nur, wenn alle drei getesteten Systeme die vorbeilaufenden Menschen erfassen und jeweils softwareseitig auswerten. Keines der getesteten Systeme hat diese Trefferquote alleine erreicht. Der schlechteste der drei Anbieter habe am Eingang des Bahnhofs sogar nur eine Trefferrate von 18,9 Prozent erreicht.

In der Praxis bedeutet diese Quote, dass von zehn gesuchten Personen nur acht korrekt identifiziert würden, wenn alle drei Systeme unter guten Bedingungen (Position/Tageszeit) zusammen eingesetzt werden.

Selbst wenn man von optimalen Werten und Bedingungen ausgeht, ist es bei jeder Form der anlasslosen Massenüberwachung mathematisch unausweichlich (vgl. Satz von Bayes), aufgrund des extremen Missverhältnisses zwischen unbescholtenen Bürgern und schweren Straftätern, dass eine Großteil der Treffer „Nieten“ sind. Anhand einer Beispielrechnung mit den veröffentlichen Zahlen kommt Jürgen Hermes (Geschäftsführer am Institut für Digital Humanities an der Universität zu Köln) bei einer flächendeckenden Massenüberwachung in Deutschland zu folgendem Ergebnis:

„640 identifizierten Zielpersonen stehen (…) knapp 80.000 Fehlalarme (täglich!) gegenüber. Das ergibt eine Precision von knapp 0,79 Prozent. Das heißt, weniger als jede hundertste vom System verdächtigte Person ist tatsächlich auch eine Zielperson. Oder: 99 von 100 verdächtigten Personen sind nicht gesucht.“

Es sind also erhebliche Zweifel berechtigt, ob die eingesetzte Technik tatsächlich die Fahndungsmethoden der Polizeibehörden verbessert.

Nutzen der Überwachung trotz Fehlerquote

Beide Überwachungsmaßnahmen werden trotz der dargestellten erheblichen Zweifel an der Effektivität von den Behörden weiter eingesetzt und teilweise sogar auf einen größeren Anwendungsbereich ausgerollt. Weitere Massenüberwachungsmethoden sind ebenso bereits in Planung. So will die Deutsche Bahn ab Januar 2019 eine Testreihe mit computerunterstützen Überwachungstechniken starten, um festzustellen, wie gut die Programme seltene oder gefährliche Abweichungen von der Normalität im Bahnhof erkennen können.

Für Bürger bleibt die Frage, ob man im Hinblick auf die nicht nachgewiesene Wirksamkeit und Notwendigkeit der Maßnahmen die Erweiterung des Überwachungsstaats in diesem Umfang unterstützen kann. Ein Großteil der Bevölkerung wird diese Maßnahmen aber wohl kaum wahrnehmen, wenn die jüngste Vergangenheit ein Indikator ist.

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