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Das Grundgesetz für’s Internet

Das Grundgesetz für’s Internet

Möglicherweise wird das Jahr 2019 ebenso in die Geschichte eingehen wie das Jahr 1789. Jetzt denkt sich selbst der geneigte Leser: Was? Habe ich eine Revolution verpasst? Wieso das? Schließlich haben beide Jahre außer der Zahl 9 nicht viel gemein.

Montag der 2.12.2019, ein historischer Moment?

So wie 1789 die Bill of Rights und die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, welche grundlegende Regeln der freien modernen Gesellschaft festgeschrieben haben, könnte auch der am letzten Montag vorgestellte „Contract for the Web“ trotz seines bescheidenen Namens Geschichte schreiben. Denn alles andere als bescheiden ist das Ziel der Erklärung: Es soll nicht weniger als ein freies, sicheres und für jeden zugängliches Internet für die Zukunft sichern.

Initiator ist kein geringerer als einer der Väter des World Wide Web, Tim Berners-Lee, dem so gar nicht gefällt wie sich sein Geisteskind in den letzten Jahren entwickelt hat:

„Über 30 Jahre hinweg war das Netz zumeist eine wunderbare Kraft für das Gute. Aber zuletzt haben wir erlebt, dass mehr und mehr Unheil angerichtet wird. Menschen werden im Netz schikaniert und betrogen, die Demokratie wird untergraben.“

Wir stünden deswegen an einem kritischen Punkt, denn wenn die Welt nichts unternehme, seien letztlich die Rechte von uns allen bedroht.

Für sein Vorhaben hat er die Unterstützung von gemeinnützigen Organisationen, aber auch Firmen wie Facebook, Google und Cloudflare – wird da der Bock zum Gärtner? – sowie u.a. der französischen und deutschen Regierung gesichert.

9 Prinzipien für Recht & Freiheit im Netz

Die Verfassung, das Manifest, die Erklärung oder das Grundgesetz für das Internet – wie man es auch nennen mag – fällt überraschend kurz aus. Es enthält insgesamt nur 9 Prinzipien und drei erläuternde Anhänge mit Bezugnahme auf bestehende internationale und supranationale Gesetzgebung. Die Prinzipien richten sich an Regierungen, Unternehmen und die Internetnutzer:

Regierungen sollen,

  • Prinzip 1: sicherstellen, dass jeder Zugang zum Internet hat, sodass jeder, egal wer er ist und wo er wohnt, sich aktiv online beteiligen kann,
  • Prinzip 2: das gesamte Internet zu jeder Zeit verfügbar halten, sodass niemandem sein Recht auf vollen Internetzugang verweigert wird,
  • Prinzip 3: die grundlegenden Datenschutzrechte respektieren, damit jeder das Internet frei, sicher und ohne Angst nutzen kann.

Unternehmen sollen,

  • Prinzip 4: das Internet erschwinglich und für jedermann zugänglich machen, damit niemand von der Nutzung und Gestaltung des Internets ausgeschlossen wird.
  • Prinzip 5: die Privatsphäre der Menschen und die personenbezogenen Daten schützen. Nur so könne Vertrauen im Internet aufgebaut werden und Menschen die Kontrolle über ihr „Digitales Ich“ behalten und werden befähigt sinnvolle Entscheidungen rund um Daten und Datenschutz zu treffen,
  • Prinzip 6: Technologien entwickeln, die das Beste in der Menschheit fördern und das Schlimmste herausfordern, damit das Internet wirklich ein öffentliches Gut ist, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht.

Internetnutzer sollen,

  • Prinzip 7: Schöpfer und Mitarbeiter im Web sein, damit das Internet reichhaltige und relevante Inhalte für jedermann bereitstellt,
  • Prinzip 8: starke Gemeinschaften aufbauen, die Respekt für den gesellschaftlichen Diskurs und die Menschenwürde haben, damit sich jeder online sicher und willkommen fühlt,
  • Prinzip 9: für das Internet kämpfen, damit es ein offener Ort bleibt und eine globale öffentliche Ressource für Menschen überall auf der Welt, in der Gegenwart und Zukunft.

Welche Rolle spielt der Datenschutz?

Es geht viel um Fragen der Verfügbarkeit des Internets. Ursprünglich sollte der Vertrag für das Netz daher auch im Mai vorgestellt werden, zu dem Zeitpunkt also, zu dem erstmals die Hälfte der Weltbevölkerung Zugang zum Internet haben sollte.

Uns interessieren vor allem die datenschutzrechtlichen Aspekte des Contract of the Web. Die Prinzipien 3 und 5 beziehen sich auf den Respekt der Privatsphäre und des Datenschutzes durch die Staaten und Unternehmen.

Prinzip 3 – Datenschutz durch Staaten

Hier wird ganz treffend festgestellt, dass verschiedene Kulturen zwar verschiedene Vorstellungen von Privatsphäre haben und damit auch von Datenschutz. In allen Kulturen aber ein Begriff der Privatsphäre und der Freiheit in der einen oder anderen Form bekannt sei.

Es sei daher allgemein wichtig, dass Staaten Gesetze zum Schutz der Privatsphäre schaffe, weil das Internet aufgrund immer besserer Analysemöglichkeiten zunehmend zu einem Ort permanenter Beobachtung werde. Die Datenverarbeitung beschränke sich dabei nicht nur auf die Daten die von Nutzern zur Verfügung gestellt werden, sondern erstrecke sich auf Daten, die bei der Nutzung des Internets oft ohne Wissen der Nutzer anfallen. Staaten sollen daher durch Gesetze eine Sphäre der Autonomie der Nutzer sichern. Nur so könne sichergestellt werden, dass jeder Nutzer das Internet frei, sicher und ohne Furcht nutzen kann.

  • Staaten sollen danach die grundlegenden Online-Datenschutzrechte respektieren, damit jeder das Internet frei, sicher und ohne Angst nutzen kann. Dafür sollen sie, Gesetze für Betroffenenrechte schaffen und durchsetzen. Unverkennbar ist hier der Einfluss der DSGVO. Es sieht so aus, als hätten die Verfasser die Betroffenenrechte der DSGVO einfach kopiert.
  • Zudem sollen Regierungen in Gesetzen Datenschutz- und „Online“-Rechte stärken. Als Maßnahme werden hier abschreckende Bußgelder und Datenschutz-Folgeabschätzungen zur Steigerung der Transparenz genannt. Die DSGVO lässt auch hier grüßen.
  • Staaten sollen des Weiteren private Kommunikation nur in Übereinstimmung mit den Menschenrechten überwachen. Dies sollte immer nur auf einer Rechtsgrundlagen erfolgen, von unabhängigen Gerichten überprüft werden können und zeitlich beschränkt sein.
  • Zudem sollen Unternehmen nicht gezwungen werden, die Sicherheit ihrer Produkte zu Überwachungszwecken zu kompromittieren.

Als Grundlage für die Forderungen werden internationale Gesetze zitiert, die im Geiste des digitalen Zeitalters auszulegen seien. Hier wird u.a. Art. 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte zitiert, wonach schon die Ungewissheit, ob Kommunikation abgehört wird, eine abschreckende Wirkung („chilling effects“) auf die freie Meinungsäußerung habe. Staaten müssten daher den Bürgern demonstrieren, dass eine solche Überwachung nur in engen rechtlichen Grenzen und nicht zufällig oder unrechtmäßig geschehe.

Prinzip 5 – Datenschutz durch Unternehmen

Das Internet sei zunehmend der Ort schlechthin, an dem Nutzer ihre Recht auf Meinungsfreiheit ausüben und ihr Bedürfnis nach Informationen stillen. Das Internet und insbesondere Internetplattformen seien daher heutzutage zunehmend die modernen, sozialen Treffpunkte.

Vor diesem Hintergrund sei umso wichtiger, dass man der Besorgnis angesichts dem zunehmenden Umfangs und der Granularität der Überwachungsmöglichkeiten entgegentrete. Plattformen sollten daher sicherstellen, dass Nutzer weder manipuliert noch genötigt werden. Unternehmen würden daher eine herausragende Rolle bei der Verwirklichung von Datenschutzes im Internet spielen und sollten den Nutzern transparente Möglichkeiten zur Ausübung ihrer Datenschutzrechte bieten.

Unternehmen sollen die Privatsphäre der Menschen und deren personenbezogene Daten respektieren und schützen. Nur so könne online Vertrauen aufgebaut werden, damit Menschen die Kontrolle über ihr Online-Leben haben und befähigt werden, transparente und sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Nur schöne Worte?

Zugegeben, das ganze klingt etwas nach einem Wunschtraum. Mit der aktuellen Realität im Internet hat es jedenfalls wenig gemein. Gerade vor dem Hintergrund, dass viele Internetkonzerne ihr Geld mit der Verarbeitung von Nutzerdaten verdienen – Stichwort Überwachungskapitalismus – scheint es wenig wahrscheinlich, dass weltweit alle Internetnutzer volle Souveränität über ihre Daten zurückgewinnen. Es wird wahrscheinlich ein langer Prozess. Doch auch die Deklaration der allgemeinen Menschenrechte mit dem Recht auf Versammlung, Handlungsfreiheit oder auf freie Meinungsäußerung war 1789 wohl eher ein trotziger Akt der Selbstbehauptung gegen Ungerechtigkeit als eine gelebte Realität. So könnte es auch mit den Rechten auf Zugang zum Internet, auf Datenschutz und Transparenz laufen. Stets zwei Schritte voran und ein Schritt zurück auf dem Weg zum Ziel.

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