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EU-Generalanwalt: Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Grundrechte

EU-Generalanwalt: Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Grundrechte

Der zuständige Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof hat heute das vorläufige Ergebnis seiner Überprüfung der Vorratsdatenspeicherung bekannt gegeben. In seinem Schlussantrag bezeichnet er die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung als „unvereinbar mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union“.

Eine generelle Absage an die anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten ist darin jedoch leider nicht zu sehen.

Die Qualität des Grundrechtseingriffs

Der Generalanwalt hat als Gutachter in zwei Verfahren gegen europäische Staaten einige klare Worte in seinem Antrag formuliert:

„Die Erhebung dieser Daten schafft die Voraussetzungen für eine Überwachung, die (…) das Recht der Unionsbürger auf das Geheimnis ihres Privatlebens (…) während der gesamten Dauer der Vorratsspeicherung permanent bedroht.“

Und weiter:

„Bei den fraglichen Daten (handelt) es sich (…) um sozusagen qualifizierte personenbezogene Daten, deren Auswertung es ermöglichen kann, eine ebenso zuverlässige wie erschöpfende Kartografie eines erheblichen Teils der Verhaltensweisen einer Person, die allein ihr Privatleben betreffen, oder gar ein komplettes und genaues Abbild der privaten Identität dieser Person zu erstellen.“

Hier wird endlich einmal klar gestellt, wie sehr die Speicherung der Daten von Millionen Bürgern die persönliche Freiheit belastet, ohne dass der weit überwiegende Teil auch nur einer Straftat verdächtigt wird.

Die Speicherung durch nicht staatliche TK-Anbieter

Problematisch ist auch die Speicherung durch private Anbieter von IT-Dienstleistungen, die in der Praxis nur einer äußerst lückenhaften Kontrolle durch staatliche Stellen unterliegen. Die Missbrauchsgefahr liegt hier auf der Hand.

„Diese ‚Externalisierung‘ der Vorratsdatenspeicherung ermöglicht es zwar, die gespeicherten Daten von den öffentlichen Stellen der Mitgliedstaaten fernzuhalten und sie damit ihrem direkten Zugriff und jeder Kontrolle zu entziehen, aber gerade dadurch vergrößert sie gleichzeitig die Gefahr einer Auswertung, die den Anforderungen des Rechts auf Achtung des Privatlebens zuwiderläuft.“

Fehlende Garantien für den sicheren Umgang mit den Daten

Der entscheidende Punkt für eine Rechtswidrigkeit der bestehenden Regelung ist der fehlende oder ungenaue Rechtsrahmen, in dem Speicherung und Auswertung der Vorratsdaten erfolgen.

„Im Ergebnis ist die gesamte Richtlinie 2006/24 unvereinbar mit Art. 52 Abs. 1 der Charta, da die Einschränkungen der Grundrechtsausübung, die sie aufgrund der durch sie auferlegten Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung enthält, nicht mit unabdingbaren Grundsätzen einhergehen, die für die zur Beschränkung des Zugangs zu den Daten und ihrer Auswertung notwendigen Garantien gelten müssen.“

Das Gutachten nennt ab Nr. 125 einige Bespiele, die bereits von der EU vorgeschrieben werden müssten, damit eine Speicherung zulässig ist. Neben einer Löschungspflicht und fehlenden Ausnahmen betrifft dies vor allem den ungenauen Anlass für eine Datenabfrage:

„In Anbetracht der Stärke des Eingriffs oblag es ihm, die Straftatbestände, die den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den erhobenen und auf Vorrat gespeicherten Daten rechtfertigen können, mit einem über die Angabe ‚schwere Straftaten‘ hinausgehenden Maß an Präzision zu beschreiben.“

Zeitraum der Speicherung zu lang

Der in der Richtlinie vorgesehene Zeitraum, in dem die einzelnen Staaten eine Speicherung vorschreiben können, liegt zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Dies ist nach Aussage des Generalanwalts auf jeden Fall zu lang und damit unzulässig.

„Mit anderen Worten (…) hat mich kein Argument von dem Erfordernis zu überzeugen vermocht, die Vorratsdatenspeicherung über ein Jahr hinaus zu verlängern.“

An dieser Stelle hätte man sich wohl einen noch sehr viel kürzeren Zeitraum gewünscht, falls eine Vorratsdatenspeicherung denn unumgänglich sein sollte.

Fazit: Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich möglich

Auch wenn das Gutachten die Regelung zur Speicherung in der vorliegenden Form ablehnt, so geht es doch grundsätzlich davon aus, dass eine geänderte EU-Richtlinie eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung durchaus ermöglichen kann.

„Die Richtlinie 2006/24 verfolgt nämlich ein vollkommen legitimes Ziel, das darin besteht, die Verfügbarkeit der erhobenen und auf Vorrat gespeicherten Daten zum Zweck der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten sicherzustellen, und ist (…) als zur Erreichung dieses Endziels geeignet und – vorbehaltlich der Garantien, mit denen sie versehen sein sollte – sogar erforderlich anzusehen.“

Bei allen positiven Aspekten des Gutachtens sieht ein endgültiges Aus für die anlasslose Vorratsdatenspeicherung wohl anders aus. Am Ende ist es keine rechtliche, sondern eine politische Entscheidung, ob die Vorratsdatenspeicherung kommt. Warten wir also auf die ersten Schritte der neuen Regierung.

Am Rande: Zur Entstehung von Gesetzen

Manchmal fragt man sich schon, ob alle Politiker die Tragweite der Regelungen wirklich erfassen, für die sie in den Parlamenten abstimmen. Insbesondere bei der anlasslosen Speicherung der Daten von Millionen Nutzern zur Aufklärung „schwerer Straftaten“ habe ich da meine Zweifel.

Dazu eine interessante Aussage des SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy aus dem Jahr 2010:

„Auf meinen Namen wurde vor ca. einem Jahr über das Internet bei einem recht bekannten Flensburger Erotik-Versand eine künstliche Vagina bestellt, über deren Eintreffen in meiner Privatwohnung ich sehr überrascht war. Ist es legitim, herausfinden zu wollen, ob der Besteller identifiziert werden kann? Ich meine: Ja. Das Versandhaus, das die Ware zurücknehmen musste, wurde finanziell geschädigt und ich belästigt.“

Eine wirklich schwere Straftat, dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.

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