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Geschwindigkeitsmessung: Jeder Autofahrer unter Generalverdacht

Geschwindigkeitsmessung: Jeder Autofahrer unter Generalverdacht

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius hat gestern bekannt gegeben, dass das Land einen Feldversuch zum umstrittenen Strecken-Radar (Section Speed Control) starten wird. Mit dem Verfahren zur Geschwindigkeitsmessung werden alle Autofahrer eines Abschnitts erfasst und registriert.

Vollständige Erfassung in der Kritik

Das System der Strecken-Radar-Messung soll vor allem längere Landstraßenabschnitte sicherer machen. Dafür wird zunächst an einem Startpunkt das Kennzeichen eines PKW erfasst. An einem Endpunkt wird dann das Fahrzeug erneut registriert und die durchschnittliche Geschwindigkeit ermittelt. Liegt diese über dem Geschwindigkeitslimit, wird der Fahrer fotografiert. Anderenfalls wird der komplette Datensatz verworfen.

In der Kritik steht die Technik vor allem deshalb, da alle Autofahrer in dem betreffenden Bereich praktisch unter Generalverdacht stehen und zunächst vollständig erfasst und gespeichert werden. Mit dieser Speicherung ist dann prinzipiell eine Auswertung auf Fahrzeugebene möglich; ein Aspekt, der ganz sicher Begehrlichkeiten wecken wird.

Reflex: Ruf nach mehr Überwachung

Bereits bei der Einführung der Autobahnmaut wurden Rufe nach einer Nutzung der Daten zur Verbrechensbekämpfung laut. Ähnlich wie bei der Vorratsdatenspeicherung im Telekommunikationsbereich scheint es ein grundsätzlicher Reflex von Politik und Polizei zu sein, nach mehr Überwachung und nach immer umfangreicheren Auswertungen zu rufen.

Der sogenannte Autobahn-Schütze wurde beispielsweise durch eine monatelange Überwachung aller Fahrzeuge auf bestimmten Autobahnen identifiziert. Dabei wurden Millionen von Datensätzen unschuldiger Bürger erfasst und gespeichert. Ein Vorgehen mit Erfolg, aber zu welchem Preis?

Ein weiteres Beispiel staatlicher Überwachungswut stellt die sogenannte Funkzellenabfrage dar, bei der immer wieder Millionen von Datensätzen von Bürgern erfasst werden, denen keine Straftat vorgeworfen wird.

Rechtslage unklar

Ob die umfangreiche Videoerfassung der Fahrzeuge rechtlich zulässig ist, ist zudem noch stark umstritten. Es erscheint äußerst fraglich, ob diese einschneidende Maßnahme allein auf der sogenannten polizeilichen Generalklausel beruhen kann.

In Niedersachsen soll dem Datenschutz zunächst dadurch genüge getan werden, dass die Daten technisch nicht abrufbar sind, solange kein Geschwindigkeitsverstoß festgestellt worden ist. Auch hier scheint es jedoch nur eine Frage der Zeit zu sein, bis findige „Experten“ nach einer Auswertung auch dieser Daten rufen.

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  • Leider wird es immer schwerer, gegen solche generalverdachtsmäßige Totalüberwachungen zu argumentieren. Die Köpfe der meisten Menschen sind bereits vergiftet und indoktriniert. Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Unschuldsvermutung, Verhältnismäßigkeit, Selbstbestimmung und Menschenrechte. Privatsphäre und Datenschutz. All das ist abstrakt und hat keinen direkt ersichtlichen Nutzen. In unserer durchökonomisierten Gesellschaft zählt aber vor allem eins: Nutzen, Nutzen, Nutzen.

    Aus steuer- und handelsrechtlichen Gründen werden z.B. praktisch alle Daten, die irgendwie mit Geld und Finanzen zu tun haben, schon seit ewigen Zeiten für 10 Jahre gespeichert. Weil ja vielleicht irgendwann in den nächsten 10 Jahren diese Daten irgendwie nützlich sein könnten, um irgendetwas beweisen/nachweisen zu können.

    Jeder Bürger muss sich seit Jahrzehnten via Meldebehörde registrieren. Auch hier gilt der Generalverdacht, dass ein Bürger ohne Registrierung diese Freiheit ausnutzt, um Böses zu tun.

    In den Augen der meisten Menschen ist Überwachung gut. Überwachung trifft ja immer nur die anderen, die Bösen, die Kriminellen. Man selbst tut ja nichts Falsches und steht immer auf der richtigen Seite. Der Nutzen liegt somit sofort auf der Hand. Keine Raser und Drängler mehr, nur noch brave Fahrer. Viele möchten sich gegen Fehlverhalten oder Straftaten anderer wehren, können es aber nicht, weil man keine Beweise hat.

    Dasselbe Prinzip gilt bei Dash-Cams. Viele würden sich sicherer fühlen mit einer Kamera im Auto, die (vermeintlich) unfallverursachende Unfallgegner beweissicher filmt.

    Anderes Beispiel: Viele würden sich mit einer Schusswaffe ebenso sicherer auf den Straßen fühlen, vor allem Frauen, vor allem nachts, vor allem in schrägen Gegenden.

    Das immer stärker Realität werdende Ziel vieler Menschen, ob mit oder ohne Macht, ist:
    Die totale Überwachungs- und Kontrollgesellschaft, wo jede Regelübertretung, jede kriminelle Handlung sofort erkannt, verfolgt und bestraft wird.

    Das Endziel dieser Ideologie ist eine vollautomatisierte Sanktionsmaschinerie, wo Maschinen und Computerprogramme selbsttätig die Menschen beaufsichtigen. Das Beste daran: Dahinter lockt eine milliardenschwere Industrie, die mit ihrem Geldhunger wie ein Krebsgeschwür die Ressourcen der Gesellschaft beansprucht.

    Für Schulen und Ärzte haben wir kein Geld, aber für Überwachungskameras und Datenbanken. Zehntausende sterben jedes Jahr an Krankenhauskeimen. Aber mehr Geld für mehr Personal mit mehr Zeit für mehr Hygiene gibt es nicht. Multiresistente Erreger lassen sich nicht so gut vermarkten wie Terroristen, Drogendealer, Kinderschänder oder Todesraser.

  • Wo ist der Unterschied zur verdachtsunabhängigen Abstandsüberwachung. Gleiches Prinzip. Darüber regt sich auch keiner mehr auf. Nicht das es das besser macht, aber der Vergleich liegt näher.

  • wenn wir schon bei Prinzipien sind:
    Wo ist den der Unterscheid zu dem Polizisten, der mich letzthin anlasslos kontrolliert hat, und das inklusive Alkotest? („Planquadrat“ heißt das bei uns im schönen Alpenland, da werden einfach alle aufgehalten). Offenbar ist es so, dass verdachtsunabhängige Maßnahmen per se nicht sooooo arg sind, wie da jetzt alle (oder zumindest der p.t. User „Auf Vorrat“) tun. Wer im Straßenverkehr ein Kfz lenkt, muss sich halt allerlei Kontrollen gefallen lassen.
    Aus meiner Sicht geht es um die Angemessenheit: wenn hot spots (besonders gefährliche Abschnitte, in Österreich zB der Wechselabschnitt der A2, wo es regelmäßig Tote gibt) durch technische Maßnahmen kontrolliert werden, ist das wirklich unangemessen? Ich meine nein.
    Was nicht geht, ist die vollständige Kontrolle jedes Tuns, da stimme ich „Auf Vorrat“ zu 101 % zu. Die Preisfrage ist natürlich die, wer die Grenze zieht.
    Und wenn es für die „meisten Menschen“ OK ist, ist das auch eine demokratische Entscheidung. Ob das eine wünschenswerte Entwicklung ist, ist eine politische (und keine rechtliche) Frage.

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