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Interview: Abgeordnetenwatch.de für Informationsfreiheit und Transparenz

Interview: Abgeordnetenwatch.de für Informationsfreiheit und Transparenz

Fast jeder hat es irgendwo schon mal gehört, aber die wenigsten wissen, was sich wirklich dahinter verbirgt: abgeordnetenwatch.de. Das Projekt dreht sich um einen zentralen Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft, die Informationsfreiheit. Um der verehrten Leserschaft Einblicke in die Arbeit des Portals zu geben, haben wir ein Interview mit der Leitung Wahlen und Parlamente von abgeordnetenwatch.de, Frau Christina Lüdtke, geführt.

Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaft

Die Aufsichtsbehörden im Bereich Datenschutz heißen eigentlich „Landesbeauftragte (oder Bundesbeauftragte) für Datenschutz und Informationsfreiheit“. Nur selten wird der vollständige Name der Behörde genannt und noch viel seltener wird darüber gesprochen, was sich hinter Informationsfreiheit tatsächlich verbirgt. Dabei ist es recht einfach: Die Informationsfreiheit ist ein Grundrecht gemäß Art. 5 GG und bedeutet, dass jedermann grundsätzlich ohne Begründung Zugang zu Informationen haben kann, die bei sogenannten informationspflichtigen Stellen vorhanden sind. Durch diese Transparenz soll die Teilnahme des Bürgers an der politischen Willensbildung sowie die Kontrolle staatlichen Handelns durch den Bürger ermöglicht werden.

Der Verein Mehr Demokratie drückt es so aus:

„Bürger haben ein Recht auf Transparenz. Nur wer sich informieren kann, ist in der Lage fundierte Entscheidungen zu treffen. Somit ist ein Mindestmaß an Transparenz Voraussetzung für Demokratie. Informationen, die in öffentlichen Stellen vorhanden sind, gehören der Allgemeinheit, nicht der Behörde. Sie sollten deshalb auch öffentlich zugänglich sein.“

Eine wichtige Einrichtung im Bereich Informationsfreiheit ist der gemeinnützige Verein „Parlamentwatch e.V.“, der das Portal abgeodnetenwatch.de betreibt. Mit monatlich über 125.000 Besucherinnen und Besuchern sowie gut 275.000 Seitenabrufen ist abgeordnetenwatch.de das größte politische Dialogportal Deutschlands.

Interview

Kannst du die Plattform und eure Ziele bitte kurz beschreiben?

Christina Lüdtke: abgeordnetenwatch.de wurde 2004 gegründet. Wir begleiten die parlamentarische Arbeit der Abgeordneten im Bundestag, in allen 16 Landesparlamenten sowie auf EU-Ebene (hier nur die derzeit 96 deutschen Abgeordneten). Die Internetplattform ermöglicht öffentliche Fragen von Bürgerinnen und Bürgern an die Abgeordneten, auf die diese ebenso öffentlich antworten können. Zusätzlich dokumentiert abgeordnetenwatch.de die Nebeneinkünfte der Abgeordneten und das Abstimmungsverhalten. In unserem Blog berichten wir rund um die Themen Transparenz und Beteiligung in der Politik. Wir stellen auch konkrete Forderungen und machen Vorschläge, wie Missstände behoben werden könnten. Unser Leitprinzip ist „Transparenz schafft Vertrauen“. Wie auch im Jahresbericht 2016 zu lesen ist, ist unsere Vision eine selbstbestimmte Gesellschaft. Durch mehr Beteiligungsmöglichkeiten und Transparenz in der Politik kann das gefördert werden.

Wie sieht euer Konzept aus?

Christina Lüdtke: Unser Konzept funktioniert über drei Eckpfeiler. Der erste Pfeiler ist die Bürgerbeteiligung in Form von Frageportal und Wählergedächtnis. Das bedeutet konkret, dass alle aktiven Abgeordneten in Deutschland öffentlich befragt werden können. Dadurch entsteht eine dauerhafte öffentliche Beobachtung und ein höherer Rechenschaftsdruck für die gewählten Volksvertreter. Selbstverständlich werden die Fragen moderiert, damit ein sachlicher Dialog auf Augenhöhe entsteht und keine Beleidigungen verbreitet werden bzw. die Politiker persönlich angegriffen werden. Bei der letzten Bundestagswahl hatten wir 9000 Fragen, von denen 76% auch beantwortet wurden. Zudem erhalten alle Direktkandidaten bei Wahlprojekten ein Profil und können sich darüber vorstellen. Zur letzten Bundestagswahl konnten wir beispielsweise über 2.500 Direktkandidierende darstellen.

Der zweite Pfeiler ist unsere eigene Recherche in den Bereichen Lobbyismus, Transparenz, z.B. Vergabe von Hausausweisen an Lobbyisten für den Bundestag. Damit in Zusammenhang stehen auch regelmäßige Klagen z.B. gegen die Bundestagsverwaltung auf Herausgabe bestimmter Informationen. Wir klagen, weil wir diese Informationen für interessant und wichtig für die Öffentlichkeit halten.

Der dritte Pfeiler zeichnet sich durch konkrete Kernforderungen aus. Derzeit ist unser größtes Projekt die Forderung nach einem Gesetz zu einem verbindlichen Lobbyregister.

Warum ist der Grundsatz der Transparenz wichtig für unsere Demokratie?

Christina Lüdtke: Wir wollen die politische Aktivität von Bürgern fördern. Durch Transparenz soll mehr Vertrauen in die Politik und die Demokratie entstehen. Nur wenn die Bürger der Demokratie so weit vertrauen und sich mit ihr identifizieren, dass sie sich aktiv beteiligen, kann aus der gegenwärtigen „Zuschauerdemokratie“ eine „Mitmachdemokratie“ werden. Durch mehr aktive Beteiligung würden auch die Interessen der Zivilgesellschaft besser durchsetzbar.

Die Notwendigkeit der Transparenz beziehen wir auf öffentliche Informationen, z.B. Protokolle darüber, welche Unternehmen an welchen Gesetzesentwürfen beteiligt sind und wie weit der Einfluss geht, welche Lobbyisten sich mit wem treffen, welche Unternehmen welchen Abgeordneten Geld zahlen (z.B. für Vorstandsmitgliedschaften o.ä.). Unser Grundsatz hier ist “Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen”.

Wie wird die Arbeit der Plattform von den Politikern aufgenommen?

Christina Lüdtke: Überwiegend gut. Jedoch gibt es auch Politiker, die sich gegen ein Lobbyregister stemmen – oft sind das diejenigen, die gute Verbindungen in die Wirtschaft haben. Ein häufiger angeführtes Argument dabei ist, dass es so etwas bereits gäbe. (Gemeint ist dann eine Verbandsliste, in die man sich als Interessensverband einträgt, die jedoch keine Protokolle über Treffen enthält und bei der man eingesetzte Summen nicht nennen muss. Es gibt in dieser Verbandsliste noch nicht einmal die Möglichkeit für Unternehmenslobbyisten, sich einzutragen.)

Die Frageplattform ist ein mittlerweile allgemein anerkanntes Instrument: über 90% der Politiker antworten regelmäßig, im Schnitt werden über 80% der Fragen beantwortet. Viele Politiker nehmen es als einen willkommenen Kanal wahr, über den das Wahlvolk Kontakt aufnimmt.

Was sind deine Hauptaufgaben? Hast du eigene Visionen für die Plattform?

Christina Lüdtke: Meine Aufgabe ist die Leitung des Bereichs „Wahlen & Parlamente”. Dabei begleiten wir die Wahlen indem wir alle Kandidierenden recherchieren und mit ihnen in Kontakt stehen. Außerdem suchen und betreuen wir Medienpartner. Ein großer Teil dieses Aufgabenbereichs ist auch das Aufsetzen des Kandidaten-Checks: Der Check stellt unsere Entscheidungshilfe für die Erststimme dar: Politiker beziehen zu Thesen Stellung, Wähler können die gleichen Thesen durchspielen und sehen, mit welchem ihrer Direktkandidierenden sie die meisten (oder wenigsten) Übereinstimmungen haben. Darüber hinaus betreuen wir Politikeranfragen und sind Schnittstelle zur technischen und inhaltlichen (Weiter-)Entwicklung.

Meine eigene Vision ist es, unsere Position als größte deutsche Politik-Plattform zu stärken. Ich hege den Wunsch, dass alle Politiker anhand der regen Nutzung der Plattform einsehen und verstehen, dass der öffentliche und direkte Kontakt wichtig ist für gewählte Volksvertreter.

Welche sind die nächsten anstehenden Wahlen, die euch beschäftigen werden?

Christina Lüdtke: Das sind die Landtagswahlen in Hessen und Bayern im Herbst 2018, die Vorbereitung und Kandidierendenrecherche dazu läuft bereits. Das nächste große Ereignis steht dann mit der Europawahl im Frühjahr 2019 an.

Zuletzt noch eine obligatorische Frage zum Datenschutz: Welche Kategorien personenbezogener Daten laufen bei euch auf und wie geht ihr damit um?

Christina Lüdtke: Von Politikern haben wir

  • “Stammdaten” wie Name, Jahrgang, Berufliche Qualifikation – öffentlich zugängliche Daten
  • Zusatzinfos wie Twitteraccounts, Biografien etc. (können die Politiker selbst pflegen)
  • Kontaktinfos wie Telefonnummer und Mailadresse, die selbstverständlich vertraulich behandelt werden
  • melde- und veröffentlichungspflichtige Nebeneinkünfte (nur auf Bundestagsebene)
  • Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen in allen Parlamenten

Von Fragestellern haben wir in der Regel Klarname und E-Mail-Adresse. Der Klarname ist uns wichtig für den Dialog auf Augenhöhe, da der Politiker sich der Frage ja auch als identifizierte Person stellt. Die E-Mail-Adressen von Fragestellern werden ebenso wie die E-Mail-Adressen der Politiker vertraulich behandelt und werden weder veröffentlicht noch weitergegeben.

Vielen Dank für das Interview!

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  • Mich würde folgendes zum Informationsfreiheitsgesetz interessieren:
    Inwieweit ist es richtig, dass Bundestag-Abgeordnete des Petitionsausschusses des Bundestages berechtigt sind, eine Begründung auf eine Niederlegung einer Petition zu verweigern, mit dem Hinweis, dass Abgeordnete nicht unter das Informationsfreiheitsgesetz fallen.
    Gibt es sogenannte „Grauzonen“ im Informationsfreiheitsgesetz, welche aufgearbeitet werden sollten, um die gesamte Transparenz zu gewährleisten?

    • Mangels eigener Fachkenntnis habe ich die Frage an abgeordnetenwatch weitergeleitet, die folgedermaßen dazu Stellung nimmt:
      Das IFG zielt darauf ab, das Verwaltungshandeln (also die Exekutive) transparent zu machen, nicht jedoch die Parlamentsarbeit (Legislative). Daher ist lediglich die Parlamentsverwaltung auskunftspflichtig nach dem IFG, nicht jedoch die Abgeordneten oder Fraktionen.
      Es ist also keine Grauzone, sondern bewusst kein Teil des IFG. http://www.gesetze-im-internet.de/ifg/__1.html
      Abgeordnete müssen per Definition ihre Arbeit der Öffentlichkeit erklären, vielleicht möchten Sie einfach mal eine Frage über abgeordnetenwatch.de an die Mitglieder des Petitionsausschusses stellen.

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