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Leutheusser-Schnarrenberger zum Recht auf Vergessen

Leutheusser-Schnarrenberger zum Recht auf Vergessen

Mit dem Recht auf Vergessen hat der EuGH in seinem Urteil vom 13.05.2014 (Rechts-) Geschichte geschrieben. Doch in Wahrheit handele es sich um das „Recht, nicht mehr so leicht von Google aufgefunden zu werden“, so die Bundesjustizministerin a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Bei dem Vortrag „Recht auf Vergessen“ berichtete sie, als Mitglied im Google Advisory Council, über ihre Erfahrungen bei der Umsetzung der Vorgaben des EuGH.

Zahlen und Fakten zu Löschungsanträgen

Bislang seien gut 500.000 Löschungsanträge bei Google aufgelaufen, die sich auf mehr als 1.500.000 URLs beziehen.

Typische Fallgruppen seien Löschungsanträge

  • zur geschlechtlichen Orientierung,
  • zur finanziellen Situation,
  • zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren,
  • sowie zu Rechten von Kindern.

Google veröffentlicht keine Aussagen über das zahlenmäßige Gewicht der Fallgruppen.

In der Entscheidungspraxis von Google werden ca. 42 bis 43 Prozent der Löschungsanträge positive entschieden, etwa 58 Prozent werden abgelehnt. Parallel oder im Anschluss beschweren sich die Betroffenen häufig bei den Datenschutzbehörden.

Anforderungen an die Löschung von Links

Frau Leutheusser-Schnarrenberger stellte klar, dass durch das interdisziplinär besetzte Gremium keine Beratung von Google in Einzelfällen erfolgt:

„Ein Formular zum Ankreuzen genügt nicht. Grundrechte müssen abgewogen werden.“

Das Gremium bemüht sich, Rahmenbedingungen für das Löschungsverfahren zu schaffen, insbesondere stellt es Kriterien auf, um eine gerechte Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Bürgers auf Löschung von Links und dem Informationsinteresse der Allgemeinheit auf Beibehaltung der Informationen in den Suchergebnissen vorzunehmen.

Nach Auffassung der Rednerin können Betroffene auch gegen andere Suchmaschinenbetreiber einen Löschungsantrag stellen. Diese Löschungsanträge sind indes im Verhältnis zu Google freilich quantitativ marginal.

Der Betroffene muss nicht erst gegen den Inhaltsprovider erfolglos vorgehen, sondern kann sich mit seinem Löschungsbegehren nicht zuletzt wegen der großen Reichweite direkt an den Suchmaschinenbetreiber wenden.

Der Löschungsantrag bezieht sich nach dem EuGH nicht nur auf die unkorrekte Berichterstattung, sondern auch auf die korrekte Berichterstattung, die je nach Lage des Einzelfalls nach Zeitablauf bei überwiegendem Interesse an der Löschung entfernt wird.

In die Abwägung fließen Umstände des gesamten Sachverhalts mit ein.

Auch wenn es sich um eine Person des öffentlichen Lebens handelt, bedeutet das nicht automatisch, dass ein Löschungsanspruch automatisch abgelehnt wird.

Rechtliche Begründung des Rechts auf Vergessen

Im Zuge der weltweiten Verlinkung von einzelnen Beiträgen komme es nach Leutheusser-Schnarrenberger zu einer:

„Verstärkung der grundrechtlichen Gefährdungslage.“

Auch die erhebliche Vertragsdisparität bzw. das Machtungleichgewicht zwischen Google und dem einzelnen Suchmaschinen-Nutzer macht den Löschungsanspruch nötig.

Die ehemalige Bundesjustizministerin befindet die EuGH-Entscheidung für „grundlegend und richtig“. Der EuGH bringt mit seiner Entscheidung zum Ausdruck, dass er nicht nur Hüter der Marktfreiheiten ist, sondern auch die Grundrechtscharta verteidige.

So sei das Marktortprinzip der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) durch die Google-Entscheidung des EuGH vorweg genommen worden. Zudem habe der Bürger anders keine Möglichkeit, weltweit die Provider ausfindig zu machen.

Klärungsbedarf

  • In der Rechtsprechung nicht geklärt und umstritten ist, ob der Löschungsanspruch auch gegen soziale Netzwerke wie Facebook geltend gemacht werden kann.
  • Ein weiterer offener Punkt ist die Reichweite des Löschungsanspruchs. Zwar werden Links auch über google.com aus Deutschland gelöscht, aber nicht etwa aus den USA. Die Frage einer globalen Löschung beschäftigt zu Zeit den EuGH unter Beteiligung der französischen Datenschutzbehörde.

Auswirkungen der EU-DSGVO auf das Recht auf Vergessen

Die EU-DSGVO, die im Mai 2018 in Kraft treten wird, konkretisiert die Voraussetzungen für den vom EuGH begründeten Löschungsanspruch in Art. 17 EU-DSGVO.

Hinsichtlich der in der öffentlichen Diskussion geforderten Schaffung eines freiwilligen Streitschlichtungsorgans und der Einbindung der Content-Verantwortlichen in das Verfahren ist Leutheusser-Schnarrenberger mit Blick auf die Regelungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung eher skeptisch.

Recht auf Vergessen in der Praxis

In der Beratungspraxis von Rechtsanwältin Tanja Irion erweist sich das Recht auf Vergessen bei Google häufig als schwierig: Maximal 1000 Zeichen für die Begründung des Löschungsantrags würden bei einem komplexen Sachverhalt nicht ausreichen. Auch laufe man den Anträgen nicht selten hinterher, da Google wenig unternimmt. So können Anträge durchaus auch erst nach zwei Monaten und länger bearbeitet werden.

Die Rechtsanwältin bekräftigte die große Wichtigkeit des Rechts auf Vergessen zur Gewährleistung der Betroffenenrechte:

So seien etwa Anbieter, die unliebsames Bildmaterial veröffentlichen, oft nicht kontaktierbar. Entweder fehle das Impressum oder der Anbieter befinde sich unerreichbar im Ausland. Auch käme es vor, dass es sich bei den Content-Anbietern schlicht um Kriminelle oder um „Verwirrte“  handele, wie etwa solche, die unter der Hülle von Queen Elizabeth ein Alien sehen.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger bestätigt die Auffassung der Rechtsanwältin:

„Die Entscheidung war grundlegend und richtig.“

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  • “…da Art. 17 EU-DSGVO ausdrücklich nur die Löschung unrichtiger Tatsachen vorsieht…“

    Das kann ich dort (Art. 17 Abs. 2) nicht herauslesen.

    • Ja, das stimmt. Der Bezug auf „unrichtige Tatsachen“ ist zu eng. Wir haben den Artikel entsprechend angepasst.

    • In der Tat geht es nicht um Art. 17 Abs. 2 EU-DSGVO, sondern richtigerweise um Art. 17 Abs. 1 lit. d EU-DSGVO, der lautet: „Der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten zu löschen, wenn die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet werden.“

      Diesen Rechtssatz hat Frau Leutheusser-Schnarrenberger so interpretiert, dass eine rechtmäßige Verarbeitung grundsätzlich keinen Löschungsanspruch auslöst.

      Das EuGH-Urteil zum Recht auf Vergessen trifft nach Leutheusser-Schnarrenberger unter anderem die Aussage, dass sich der Anspruch auf Löschung sowohl auf wahre Tatsachen als auch auf unwahre Tatsachen beziehen würde.

      Daraus zieht sie den Schluss, dass unter dem Regime der EU-DSGVO der Löschungsanspruch aus dem EuGH-Urteil eingeschränkt werden müsste auf die Entfernung unrichtiger Tatsachen.

      Ob dies rechtlich zutreffend ist, lässt sich meines Erachtens noch nicht sagen, da die EU-DSGVO bekanntlich erst im Mai 2018 in Kraft trifft und die mit der EU-DSGVO verbundenen Rechtsfragen zahlreich sind und erst einer Klärung (durch die Rechtsprechung) bedürfen.

  • Ich würde mich freuen, wenn Sie einen Fachbeitrag zum Recht auf Vergessen nach der Datenschutzgrundverordnung verfassen würden. Insbesondere würde mich die praktische Umsetzung interessieren, da dies wohl eher schwierig für Unternehmen wird. Vielen Dank!

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