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Verbot heimlicher Videoüberwachung verfassungswidrig?

Verbot heimlicher Videoüberwachung verfassungswidrig?

Die Wahlen sind nicht mehr weit entfernt. Etwas was man da aus Sicht der Bundesregierung gar nicht gebrauchen kann, ist schlechte Presse oder einen Fehlschlag von Gesetzesvorhaben. Letzteres erst Recht dann nicht, wenn aufgrund der inhaltlichen Materie die Gefahr eines Shitstorms (z.B. vergleichbar zu ACTA) im Internet nicht ganz von der Hand zu weisen und dem eigenen Wahlkampf eher abträglich ist.

Beschäftigtendatenschutz vorerst vom Tisch

So wundert es auch nicht, dass von dem Gesetzesvorhaben zum Beschäftigtendatenschutz zwischenzeitlich nicht mehr viel zu hören ist. Die geplante Abstimmung über den Gesetzesentwurf war kurzfristig wieder von der Tagesordnung genommen worden, da es von allen Seiten Kritik hagelte.

Regelungen zur Videoüberwachung unter Beschuss

Ein Grund für den Sinneswandel war unter anderem die massive Kritik an den Regelungen zur Videoüberwachung. Offene Videoüberwachungen sollten in nicht öffentlich zugänglichen Bereichen danach

  1. zur Zutrittskontrolle,
  2. zur Wahrnehmung des Hausrechts,
  3. zum Schutz des Eigentums,
  4. zur Sicherheit des Beschäftigten,
  5. zur Sicherung von Anlagen,
  6. zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Betriebes,
  7. zur Qualitätskontrolle,

grundsätzlich möglich sein, sofern sie zur Wahrung wichtiger betrieblicher Interessen erforderlich und insgesamt nicht unverhältnismäßig sind. Kritisiert wurde von Arbeitnehmervertretern, dass dies faktisch eine Ausweitung der Überwachungsbefugnisse mit sich bringe.

Wirft man jedoch einen Blick in das Gesetz, so stellt man mangels Spezialregelung zu Videoüberwachungen in nicht öffentlich zugänglichen Bereichen fest, dass § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG als Spezialvorschrift für den Beschäftigtendatenschutz etwaige Datenerhebungen lediglich von dessen Erforderlichkeit für die Begründung, Durchführung oder Beendigung des Beschäftigtenverhältnisses abhängig macht.

Eine Frage der Auslegung

Das eigentlich Spannende dabei ist daher, wie man nun den Begriff „erforderlich“ definiert.

Legt man „erforderlich“ eng im Sinne von „für das Beschäftigungsverhältnis zwingend notwendig“ aus, wäre die Erlaubnis zu solchen Videoüberwachungen in der Tat bereits jetzt unzulässig, da beispielsweise die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses, also das Erbringen von Leistung und Gegenleistung (im Sinne von Arbeitsleistung gegen Arbeitslohn), eine Videoüberwachung nicht zwingend voraussetzt. Der Entwurf zum Beschäftigtendatenschutz würde dann im Vergleich tatsächlich eine massive Verschlechterung der Rechtslage darstellen.

Legt man „erforderlich“ dagegen eher weit im Sinne von „verhältnismäßig“ aus, so wären die im Gesetzesentwurf erwähnten Videoüberwachungen zumindest vom Grundsatz her bereits jetzt schon möglich, natürlich vorausgesetzt die Videoüberwachung wäre tatsächlich verhältnismäßig.

Selbst ins Knie geschossen

Für die letztere Auffassung sprechen in der Tat einige Argumente:

  • Zum einen wäre da die Auffassung des EuGH (wir berichteten).
  • Zum anderen aber auch unsere eigene Verfassung, welche nicht nur allein das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern auch andere Grundrechte kennt und miteinander in Einklang bringt.
  • Aber auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts prüft das Merkmal der Erforderlichkeit im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und definiert selbige regelmäßig als gleichwirksames, aber weniger einschneidendes Mittel.
  • Auch die Gesetzesbegründung zu § 32 BDSG widerspricht der strengen Auffassung, da der Gesetzgeber Maßnahmen zur präventiven Verhinderung von Straftaten (welche für das Beschäftigungsverhältnis nicht zwingend notwendig sind) ausdrücklich § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zuordnet.
  • Auch praktische Erwägungen sprechen für den Verhältnismäßigkeitsansatz. Würde man nämlich der strengen Auffassung folgen, so dürfte der Arbeitgeber wenig sensible, aber für das Beschäftigungsverhältnis sinnvolle Daten (z.B. Telefonnummer, E-Mail-Adresse zu Zwecken der Kontaktaufnahme oder Notfallbenachrichtigung) auf keinen Fall speichern.

Folgt man nun der Verhältnismäßigkeitsansicht und stellt alte und neue tatsächlich Gesetzeslage gegenüber, so ist festzustellen, dass die Gesetzeslage die Videoüberwachung derzeit lediglich allgemein mit dem Beschäftigtenverhältnis verknüpft, während der Gesetzesentwurf selbigen voraussetzt und eine Videoüberwachung in nicht öffentlich zugänglichen Bereichen darüber hinaus nur noch in den explizit genannten 7 Fällen ermöglicht, tatsächlich also eine Einschränkung gegenüber der aktuellen Gesetzeslage darstellt.

Verbot heimlicher Videoüberwachung verfassungswidrig

Dem Druck von Interessenvertretern folgend, enthält der Entwurf zum Beschäftigtendatenschutz darüber hinaus ein absolutes Verbot der heimlichen Videoüberwachung seitens des Arbeitgebers. Bei der heimlichen Videoüberwachung handelt es sich ohne Frage um einen besonders intensiven Eingriff, welcher besonders hoher Hürden bedarf. Aber kann ein rigoroses absolutes Verbot legitim sein?

Auch insoweit kann auf die bereits zuvor genannten Argumente verwiesen werden. Hervorzuheben ist hier insbesondere die Entscheidung des EuGH. Das Bundesarbeitsgericht hatte zur heimlichen Videoüberwachung (BAG, Urteil vom 27.03.2003, Az.: 2 AZR 51/02) zudem ebenfalls bereits geurteilt und hierzu festgestellt, dass bei der Entscheidung naturgemäß auch die Interessen des Unternehmens zu berücksichtigen sind und daher die beiden Grundrechtspositionen miteinander abgewogen werden müssen.

Erst jüngst hat das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 21.6.2012, Az.: 2 AZR 153/11 siehe Zeile 41) nochmals explizit darauf hingewiesen, dass ein absolutes Verbot zumindest in öffentlichen Räumen (z.B. Einkaufsmärkten) verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet:

(2) Im Hinblick auf die ihrerseits durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Integritätsinteressen des Arbeitgebers begegnete ein absolutes, nur durch bereichsspezifische Spezialregelungen (vgl. etwa § 100c und § 100h StPO) eingeschränktes Verbot verdeckter Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen verfassungsrechtlichen Bedenken. Ob und inwieweit eine verdeckte Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Verkaufsräume zulässig ist, wenn sie dem Ziel der Aufklärung eines gegen dort beschäftigte Arbeitnehmer bestehenden konkreten Verdachts der Begehung von Straftaten oder anderer schwerwiegender Pflichtverletzungen dient, lässt sich nur durch eine Abwägung der gegenläufigen Grundrechtspositionen unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall beurteilen. Dem trägt auch die Formulierung in § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG Rechnung. Ein uneingeschränktes Verbot der verdeckten Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume würde dem nicht gerecht. § 6b BDSG ist deshalb – verfassungskonform – dahin auszulegen, dass auch eine verdeckte Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume im Einzelfall zulässig sein kann (zutreffend Byers Die Videoüberwachung am Arbeitsplatz 2010 S. 79 f.; Müller Die Zulässigkeit der Videoüberwachung am Arbeitsplatz 2008 S. 126 f.; Vietmeyer DB 2010, 1462, 1463 f.).

Auch in nicht öffentlich zugänglichen Bereichen wäre jedoch eine Abwägung vorzunehmen, weshalb sich das gleiche Problem mit den gleichen Konsequenzen stellt.

Fazit

Es schadet nicht, sich vor dem Entwurf von Gesetzen mit den einschlägigen Urteilen zu beschäftigten und diese auch dann noch zu berücksichtigen, wenn die Lobbyisten bereits zu Werke gehen und über die politischen Entscheidungsträger zu Zwecken der Einflussnahme herfallen.

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    Aber kann ein rigoroses absolutes Verbot legitim sein?

    Wer fragt uns schon?

    LG

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