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Videos aus Polizeistation auf YouTube – ein Fall für den EuGH

Videos aus Polizeistation auf YouTube – ein Fall für den EuGH

In seiner Entscheidung vom 14. Februar 2019 hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu den Fragen geäußert, unter welchen Umständen die sogenannte Haushaltsausnahme und das Medienprivileg im Datenschutzrecht greifen. Dieser Beitrag will die Entscheidung vorstellen und darüber hinaus erklären, welche Auswirkungen sie auf die geltende Rechtslage in Deutschland hat.

Von Lettland nach Luxemburg

Der EuGH wurde mit einem Fall befasst, den der Oberste Gerichtshof Lettlands ihm zur Prüfung vorgelegt hatte. Dem zugrundeliegenden Sachverhalt zufolge hatte ein Mann (im Folgenden: der Kläger) auf einer Dienststelle der lettischen Polizei Filmaufnahmen gefertigt, ohne die dort arbeitenden Polizisten darüber zu informieren. Der Kläger wollte damit vermeintlich rechtswidrige Praktiken der Polizei bei der Aufnahme einer Aussage dokumentieren. Das Video stellte er sodann ohne Zugriffsbeschränkung auf YouTube online.

In diesem Vorgehen erkannte die lettische Datenschutzbehörde einen Verstoß gegen Art. 8 Abs.1 Lettisches Datenschutzgesetz. Diese Vorschrift besagt, dass

„bei der Erhebung personenbezogener Daten der für die Verarbeitung Verantwortliche verpflichtet ist, der betroffenen Person folgende Informationen zur Verfügung zu stellen, sofern ihr diese noch nicht vorliegen:
– die Firma bzw. den Vor- und Nachnamen sowie die Anschrift des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen;
– die für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten vorgesehene Zweckbestimmung.“

Seine gegen die Verfügung der Datenschutzbehörde gerichtete Klage vor dem lettischen Verwaltungsgericht erster Instanz stützte der Kläger im Wesentlichen darauf, dass er mit der Veröffentlichung des Videos die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf ein seiner Auffassung nach rechtswidriges Handeln der Polizei lenken wolle.

Darf die Arbeit der Polizei heimlich gefilmt und auf YouTube veröffentlicht werden?

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab, sein Rechtsmittel vor dem Regionalen Verwaltungsgericht Lettland blieb ebenfalls erfolglos. Das Instanzgericht wies außerdem darauf hin, dass

„in dem in Rede stehenden Video die Polizeidienststelle sowie mehrere Polizeibeamten in Ausübung ihres Amtes zu sehen seien und die Kommunikation mit den Polizeibeamten bei der Vornahme von Verwaltungshandlungen sowie die Stimmen von Polizeibeamten, des Klägers und seines Begleiters zu hören seien.“

Weiter heißt es

„Im Übrigen könne nicht festgestellt werden, ob das Recht (des Klägers) auf freie Meinungsäußerung oder das Recht anderer Personen auf Privatsphäre Vorrang haben müsse, da (der Kläger) nicht angegeben habe, zu welchem Zweck er das in Rede stehende Video veröffentlicht habe. Auch zeige das Video weder aktuelle Ereignisse, die für die Gesellschaft von Interesse wären, noch ein unehrenhaftes Verhalten von Polizeibeamten. Da (der Kläger) das in Rede stehende Video weder zu journalistischen Zwecken im Sinne des Gesetzes über die Presse und andere Masseninformationsmedien noch zu künstlerischen oder literarischen Zwecken erstellt habe, sei Art. 5 des Datenschutzgesetzes nicht anwendbar.“

Ein Verstoß gegen Artikel 8 des lettischen Datenschutzgesetzes sei daher gegeben.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit einer Kassationsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof Lettlands. Dabei berief er sich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und machte dabei insbesondere geltend, dass das in Rede stehende Video Beamte der nationalen Polizei zeige, d. h. öffentliche Personen an einem für die Öffentlichkeit zugänglichen Ort, die nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des Datenschutzgesetzes fielen.

Der Oberste Gerichtshof setzte das Verfahren daraufhin aus und legte dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

  1. Fallen Tätigkeiten wie die im vorliegenden Fall in Rede stehende Aufzeichnung von Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle bei der Vornahme von Verfahrenshandlungen und die Veröffentlichung des aufgezeichneten Videos auf der Website www.youtube.com in den Geltungsbereich der Richtlinie 95/46?
  2. Ist die Richtlinie 95/46 dahin auszulegen, dass die genannten Tätigkeiten als eine Verarbeitung personenbezogener Daten zu journalistischen Zwecken im Sinne von Art. 9 dieser Richtlinie angesehen werden können?

EuGH: Ausnahmevorschriften sind eng auszulegen

In seiner Entscheidung bestätigt der EuGH zunächst (wenig überraschend), dass sowohl die bei der Videoaufzeichnung erfolgte Speicherung auf der Kamera als auch der Upload des Videos auf YouTube eine Verarbeitung personenbezogener Daten darstellen und deshalb in den Geltungsbereich der Richtlinie 95/46 fallen. Daran ändert sich auch nichts, weil Polizeibeamte in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gefilmt wurden, denn das europäische Datenschutzrecht kenne insofern keine Ausnahme.

Durch den Upload ohne Zugangsbeschränkung wurde das Video zudem einer unbestimmten Anzahl von Nutzern zugänglich gemacht, weshalb keine Datenverarbeitung mehr im Rahmen ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten im Sinne von Art. 3 Abs. 2 RL 95/46 (sog. Haushaltsausnahme) vorliegen kann.

Weite Auslegung des Begriffs „journalistische Tätigkeit“

Die Frage, ob das Aufzeichnen und anschließende Verbreiten auf YouTube eine Verbreitung zu journalistischen Zwecken im Sinne von Art. 9 RL 95/46 (Medienprivileg) sein kann, bejaht der EuGH. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass

„aus diesem Video hervorgeht, dass diese Aufzeichnung und diese Veröffentlichung ausschließlich zum Ziel hatten, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten.“

Zu diesem Ergebnis gelangt der EuGH durch Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Richtlinie 95/46. Dieser ist vorliegend in der Gewährleistung von Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten, insbesondere dem Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu sehen. Stehen sich dabei wie hier zwei Grundrechte (Privatsphäre – freie Meinungsäußerung) gegenüber, sind diese in einer Weise miteinander in Einklang zu bringen, die jedem Grundrecht das größtmögliche Gewicht zukommen lässt, ohne das eins hinter dem anderen zurücktreten muss (praktische Konkordanz). Dabei ist der Bedeutung der Meinungsfreiheit in einem demokratischen Staat besondere Bedeutung beizumessen, in dem man die dazugehörigen Begrifflichkeiten, zu denen auch der Journalismus zählt, weit auslegt. Vor diesem Hintergrund unterfallen dem Anwendungsbereich des Art. 9 RL 95/46 nach Ansicht des EuGHs nicht allein Medienunternehmen, sondern jede journalistische Tätigkeit, also  

„solche Tätigkeiten, die zum Zweck haben, Informationen, Meinungen oder Ideen, mit welchem Übertragungsmittel auch immer, in der Öffentlichkeit zu verbreiten (…).“

Dabei ist nicht das dazu verwendete Medium entscheidend, weshalb vorliegend auch die Veröffentlichung auf einem Videoportal nicht von vornherein eine journalistische Tätigkeit ausschließt. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob

„die Aufzeichnung und die Veröffentlichung (…) zum Ziel hatten, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten.“

Dies festzustellen, ist Sache der Vorlagegerichte. Berücksichtigt werden soll dabei nach Auffassung des EuGHs

  • der Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse,
  • der Bekanntheitsgrad der betroffenen Person,
  • der Gegenstand der Berichterstattung,
  • das vorangegangene Verhalten der betroffenen Person,
  • Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung,
  • die Art und Weise sowie die Umstände, unter denen die Informationen erlangt worden sind, und deren Richtigkeit.

Ebenso muss die Möglichkeit berücksichtigt werden, dass der für die Verarbeitung Verantwortliche Maßnahmen ergreift, die es ermöglichen, das Ausmaß des Eingriffs in das Recht auf Privatsphäre zu verringern. Im vorliegenden Fall entschied der EuGH daher nicht abschließend, sondern verwies zurück an den Obersten Gerichtshof Lettlands, damit dieser die nötigen Feststellungen treffen und endgültig urteilen kann.

Bedeutung des Urteils für die Rechtslage in Deutschland

Die Entscheidung des EuGHs gilt in Deutschland nicht unmittelbar, denn es ging nicht um die Auslegung deutscher Vorschriften und es waren auch keine deutschen Staatsbürger beteiligt. Sie hilft aber bei der Auslegung der besprochenen Normen, die mit Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO (Haushaltsausnahme) sowie Art. 85 Abs. 1 DSGVO (Medienprivileg) in die neue Rechtslage übernommen worden sind. Die Ausführungen des EuGHs gelten daher entsprechend. Auch Erwägungsgrund 153 geht in Satz 7 ausdrücklich von einer weiten Auslegung des Begriffs Journalismus aus. Schließlich hat das Urteil auch für Blogger, YouTuber und Vlogger Bedeutung, weil es ihnen dadurch leichter fallen dürfte, sich mit ihren Inhalten auf das Medienprivileg nach Art. 85 Abs.1 DSGVO berufen zu können.

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