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Vorratsdatenspeicherung: Wieder Verfassungsbeschwerden

Vorratsdatenspeicherung: Wieder Verfassungsbeschwerden

Das Thema Vorratsdatenspeicherung beschäftigt den Gesetzgeber und die Gerichte nun bereits seit fast 10 Jahren. Nun muss sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit der Zulässigkeit der Datenspeicherung auf Vorrat auseinandersetzen. Seit Dezember letzten Jahres wurden bisher 4 Verfassungsbeschwerden gegen das am 16. Oktober 2015 verabschiedete und im Dezember in Kraft getretene Gesetz eingereicht. Wir beleuchten heute einmal den Werdegang dieses Gesetzes, das so kontrovers diskutiert wird.

Das 1. Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung

2007: 1. Gesetz

Das 1. Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde im Jahre 2007 in Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung RiLi 2006/24/EG von der damaligen großen Koalition verabschiedet und im Kern in den §§ 113a, 113b TKG verankert. Sie sollte dem Staat – angesichts der voranschreitenden Medialisierung – bessere Zugriffs- und Rechtsverfolgungsmöglichkeiten bei der Bekämpfung schwerer Verbrechen verschaffen. Schon damals gab es erheblichen Widerstand gegen ein in die private Kommunikation so einschneidendes Gesetzesvorhaben.

Während die Befürworter dieses Gesetzesentwurfes den Zugriff auf private Kommunikationsinhalte im Falle schwerer Verbrechen für unumgänglich hielten, waren die Gegner schon früh der Auffassung, dass die Bestimmungen in ihrem Umfang und Ausmaß einer grundrechtswidrigen Massenüberwachung gleich kämen.

2010: Gesetz verfassungswidrig!

Mit Urteil vom 02. März 2010 1 BvR 256/08 kassierte das Bundesverfassungsgericht sodann das Gesetz unter Verweis auf die hohe Bedeutung des Telekommunikationsgeheimnisses aus Art. 10 GG und stellte klar, dass die damalige Form einer anlasslosen 6-monatigen Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten nicht mehr von einem legitimen Zweck gedeckt und damit unverhältnismäßig sind. Hierzu führte es aus:

„Eine sechsmonatige Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten in einem wie in § 113a TKG vorgesehenen Umfang ist auch nicht von vornherein unverhältnismäßig im engeren Sinne. Allerdings handelt es sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt: Erfasst werden über den gesamten Zeitraum von sechs Monaten praktisch sämtliche Telekommunikationsverkehrsdaten aller Bürger ohne Anknüpfung an ein zurechenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur abstrakte – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf Alltagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar und für die Teilnahme am sozialen Leben in der modernen Welt nicht mehr verzichtbar ist.“

Das Gericht ließ aber in seiner Urteilsbegründung auch anklingen, dass die vom Gesetzgeber angestrebte Vorratsdatenspeicherung zur Verbreichensbekämpfung nicht generell grundrechtswidrig wäre, sofern der Gesetzgeber dem Grundrecht der Telekommunikationsfreiheit durch eine entsprechend restriktive Ausgestaltung des Gesetzes angemessen Rechnung trage.

April 2014: EuGH kippt EU-Richtlinie

Im April 2014 folgte sodann ein Urteil des EuGH, mit welchem die Basis des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung, die Richtlinie RiLi 2006/24/EG für europarechtswidrig befunden wurde. Auch hier urteilten die Richter:

„Die Richtlinie beinhaltet einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt.“

Generalanwalt Cruz führte in seinem Schlussantrag hierzu aus:

„Angesichts dieses qualifizierten Eingriffs hätten in der Richtlinie zunächst die Grundprinzipien definiert werden müssen, die für die Festlegung der Mindestgarantien im Rahmen des Zugangs zu den erhobenen und auf Vorrat gespeicherten Daten und ihrer Auswertung gelten sollten. Dazu gehörten etwa

  • die präzise Festlegung der Straftatbestände, die den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den erhobenen Daten rechtfertigen können (nicht nur die Angabe „schwere Straftaten“),
  • Vorgaben in Bezug auf die zugangsberechtigten Behörden bzw. eine Einzelfallprüfung von Zugangsanträgen durch unabhängige Stellen,
  • Ausnahmen vom Zugang oder verschärfte Zugangsbedingungen unter bestimmten außergewöhnlichen Umständen,
  • Vorkehrungen zum Schutz von Grundrechten, wie etwa im Kontext der ärztlichen Schweigepflicht,
  • die Anordnung einer Löschungspflicht bei nicht mehr benötigt Daten und
  • eine Verpflichtung, die Betroffenen über den erfolgten Zugang zumindest nachträglich zu informieren, sobald die behördliche Maßnahme dadurch nicht mehr gefährdet werde.“

Das 2. Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung

2015: 2. Gesetz

Unter diesen Eindrücken und nach weiteren, teilweise hart ausgefochtenen Diskussionen, verabschiedete der Deutsche Bundestag nun am 16. Oktober 2015, sicherlich nicht zuletzt veranlasst durch die in jüngerer Vergangenheit erfolgten terroristischen Anschläge in Europa, die neue Version des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung.

Im Unterschied zum 1. Versuch hat man versucht, die Anregungen der Gerichte aufzufassen und den Grundrechtseingriff u.a. durch folgende Maßnahmen abzuschwächen:

  • Verkürzung der Speicherdauer für sämtliche Verkehrsdaten iSd §§ 96-98 TKG auf 10 Wochen
  • Verzicht auf inhaltliche Dokumentation
  • Verzicht auf Dokumentation von aufgerufenen Internetseiten
  • Keine Speicherung über Verbindungsdaten iSd § 99 TKG

Neu hinzugekommen sind u.a. folgende Punkte:

  • Speicherung von Standortdaten für die Dauer von 4 Wochen
  • Informationsrechte des Betroffenen
  • Datenlöschung nach Ablauf der Höchstspeicherfrist
  • Schutz der betreffenden Daten beim Telekommunikationsdienstleister durch Einrichtung entsprechender TOM’s

Bewertung in der Fachwelt

Seit bekannt werden des Gesetzesentwurfes steht auch dieser wieder massiv in der Kritik. So veröffentlichte die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder folgendes Statement:

„Nach Ansicht der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sei fraglich, ob dieser Gesetzentwurf den verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Anforderungen genüge. Schon vorherige Regelungen waren vom Bundesverfassungsgericht und vom Europäischen Gerichtshof für unwirksam erklärt worden, weil unzulässig in Grundrechte, insbesondere in das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten, eingegriffen wurde. Insbesondere gelte für folgende Aspekte eine Berücksichtigung grundrechtlicher Anforderungen:

  • Schutz der Kommunikation von Berufsgeheimnisträgern (z. B. Abgeordneten, Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten),
  • Differenzierung nach Datenarten, Verwendungszwecken und Speicherfristen,
  • Fehlen einer Evaluierungsklausel.“

Auch die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Andrea Voßhoff, hat ebenfalls massive Bedenken bezüglich der korrekten Umsetzung der Vorgaben für eine verfassungsgemäße Vorratsdatenspeicherung.

„Insbesondere entspräche die Neuregelung nicht vollumfänglich dem, was das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof in ihren Urteilen für die verfassungskonforme Ausgestaltung einer solchen Maßnahme gefordert haben.“

Einen guten Überblick über die Änderungen sowie den Meinungsstand findet man auch im Datenschutz-Wiki des BFDI

Neuerliche Verfassungsbeschwerden

Im Dezember 2015 reichte als erstes die Kanzlei MMR (Müller Müller Rösner) in Vertretung für 22 Beschwerdeführer, darunter Politiker der Piraten und Grünen, Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz ein 1 BvR 3156/15.

Ihr folgten weitere Verfassungsbeschwerden. Zuletzt reichte nunmehr die FDP als vierte eine Verfassungsbeschwerde ein.

Im Ergebnis werfen alle Beschwerdeführer dem Gesetzgeber vor, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 2010, sowie des EuGH nicht ausreichend umgesetzt zu haben.

Bis es hier allerdings zu einer Entscheidung kommen wird, wird es, angesichts der langen Bearbeitungszeiten der Gerichte, noch einige Zeit dauern.

Ausblick

Ob das nunmehr verabschiedete Gesetz Bestand haben, oder ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird, ist umstritten. So besteht offenbar selbst innerhalb des federführenden Bundesjustizministerium Uneinigkeit darüber, ob der Gesetzesentwurf im Einklang mit dem EuGH-Urteil von 2014 steht. Auch gibt es durchaus Stimmen, die das Urteil des EuGH dahingehend auslegen, dass nur eine anlassbezogene Speicherung von Telekommunikationsdaten als zulässig angesehen werden könne.

Status Quo…

…ist derzeit folgender Das Gesetz ist verabschiedet und mit Wirkung zum Dezember 2015 in Kraft getreten. Aufschiebende Wirkung gibt es hier keine. Allerdings werden derzeit, so Verlautbarungen aus Kreisen der Bundesnetzagentur, keine Daten gespeichert, da man zunächst die technischen Anforderungen umsetzen müsse.

Es bleibt also spannend.

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    „Im Unterschied zum 1. Versuch hat man versucht, die Anregungen der Gerichte aufzufassen“

    Mit Verlaub: Das meinen Sie doch nicht ernst, oder? „Anregungen der Gerichte“? Das sind Vorgaben! Keine Empfehlungen!

    • Selbstverständlich sind die Vorgaben der Gerichte umzusetzen. In einigen wesentlichen Teilen ist es allerdings mE bei einem Versuch geblieben, was ja gerade erneut zu den eingereichten Verfassungsbeschwerden und Anträgen auf einstweilige Anordnung geführt hat.

  • Wie ist das denn bei einem Unternehmen? Mein Arbeitgeber erlaubt uns das Internet in gewissem Maße privat zu nutzen. Darf mein Arbeitgeber dann auch so lange speichern wie die Telekom? Vielen Dank!

    • Arbeitgeber, die die private Nutzung des Internets für Mitarbeiter erlauben, haben im Gegensatz zu Internetprovidern grundsätzlich nicht die Pflicht, die anfallenden Verkehrsdaten der Mitarbeiter 10 Wochen zu speichern. Dies folgt daraus, dass die große Mehrheit der Arbeitgeber nach der überwiegenden Ansicht lediglich als „Mitwirkende an der Erbringung von Telekommunikationsdiensten“ qualifiziert wird. Zwar ergibt sich keine Pflicht der Arbeitgeber zur Speicherung der Daten, allerdings kann sich ein Recht des Arbeitgebers zur Speicherung der Verkehrsdaten aus einer Einwilligung des Mitarbeiters im Arbeitsvertrag oder aus Nebenabreden ergeben. Insofern bestimmt sich das Recht des Arbeitgebers zur Speicherung der Verkehrsdaten jeweils durch die konkreten vertraglichen Vereinbarungen mit dem Mitarbeiter.

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